Drei Allegorien von Caspar David Friedrich

Lautenspielerin und Gitarristin in einer gotischen Ruine (Allegorie der weltlichen Musik)
Die Harfenspielerin (Allegorie der religiösen Musik)
Der Traum des Musikers (Allegorie der himmlichen Musik)

Text des Faltblatts zu Raum 10 der Ausstellung

Zum ersten Mal schreibt Caspar David Friedrich 1830 ausführlich über die für St. Petersburg bestimmten Transparentbilder an seinen Freund Wassilij A. Shukowskij, der als Staatsrat, einstiger Erzieher und engster Vertrauter von Zar Nikolaus I auch für den Ankauf der Gemäldesammlung zuständig war.
Hochgeehrter Herr Staatsrat!                                  Dresden, den 9. Februar 1830
Während Ihres Aufenthalts in Dresden, wo ich öfter [der] Ehre Ihres Besuches mich zu erfreuen hatte und im wechselseitigen Gespräche vor der Staffelei so manches Bild mit Worten gemalt wurde, erinnerten Sie mich öfter und beauftragten mich auch, mehrere der besprochenen Bilder sichtbar zu machen durch Form und Farbe. Dieses ist nun teilweise geschehen, und vier der besprochenen Bilder sind ausgeführt. Ist gleich der Gegenstand, so Sie für den jungen Großfürsten auszuführen mich beauftragen, nicht mit darunter, so glaube ich doch, dass alles  in  Ihrem Sinne gedacht  [sind]  und auf ein junges kindliches Gemüt wohl Eindruck machen könnten. Diese Malereien, so nur bei Lampenlicht gesehen werden können, bedürfen einiger Vorrichtungen, wofür  ich hier jedoch schon Sorge tragen würde, dass [sie], an Ort und Stelle angelangt, mit leichter Mühe aufgestellt werden könnten. Die ausgeführten Gegenstände sind: Am gotischen Bogenfenster steht gelehnt eine Harfe, zu beiden Seiten derselben zwei Mädchen, singend und spielend Mandoline und Gitarre, als harrten sie der Harfenspielerin. Den Blick zum Fenster hinaus begrenzt eine bewaldete Anhöhe, worüber der Vollmond glänzt. – Aber die vergebens erwartete Freundin sitzt im zweiten Bilde auf einem Söller, an einem freien Platz gelegen, wo von der nahen erleuchteten Kirche die Orgeltöne herüberschallen und von dem Mädchen mit Harfespiel begleitet werden. Der Mond steht höher am Himmel und ergießt sein bläuliches Licht über die ferneliegende schlummernde Stadt. – Im dritten Bilde sitzt unter hohen Blumen (Malven) ein junger Musiker schlafend und träumend. Seiner Hand ist die Mandoline entsunken. Auf Wolken senken sich drei geflügelte Wesen singend und spielend zum Schläfer herab. Strahlend ergießt sich das Licht aus der Höhe zur Erde. – Das vierte Bild ist anderer Art: eine Szene im Wald, wo durch Zauberkraft der Erde ein Schatz abgezwungen und dafür Himmlisches für Irdisches dargebracht [wird]. Diese Bilder müssen in Begleitung von Musik gesehen werden. Das erste mit Gesang und Gitarre – das zweite mit Gesang und Harfenklängen, – das dritte mit der Glasharmonika – das vierte von fern zu hörender, rauschender Musik.

Mehr als fünf Jahre dauerte es, bis Friedrich schließlich die vier Transparentbilder in Kisten verpackt zusammen mit anderen Gemälden nach Russland schickte. „Endlich ist alles zur Einpackung und zur Absendung bereit“, heißt es im begleitenden Brief vom 12. Dezember 1835. Es ist die Rede von „vier durchsichtigen Bildern, auf Papier gezeichnet und auf Rahmen gespannt“ mit zwei Glaskugeln, einer Lampe und einem kleinen Klotz. Die vier Bilder und die Kugeln sind heute nicht mehr vorhanden. Dafür aber haben sich drei Entwurfszeichnungen erhalten die in unserer Ausstellung zusammengeführt sind, eine gehört der Hamburger Kunsthalle, die anderen kommen aus Paris und Chemnitz.

Sehr genau beschrieb Friedrich im Begleitbrief an Shukowskij, wie mit den Transparentbildern und den Kugeln zu verfahren sei. Die Motive, eine „Schatzhebung im Walde“ (dies Bild wird nun an den Anfang der Bildervorführung gestellt) und die Allegorien der weltlichen, der religiösen und der himmlischen Musik, sollten, von hinten beleuchtet, in einem abgedunkelten und mit einem Teppich ausgelegten Raum nacheinander gezeigt werden.
Neu ist gegenüber der ursprüngliche Idee, wie sie Friedrich im Gedankenaustausch mit Shukowskij in Dresden 1830 entwickelt hatte, der Einsatz der beiden Kugeln, eine mit abgekochtem Wasser gefüllt, die andere mit Weißwein. Bei richtigem Lichteinfall (Friedrich geht vom Tageslicht aus, das im vollständig abgedunkelten Raum durch eine Wand in der Mauer auf die Kugeln fallen soll) wird das Licht so gebündelt, dass es als runde Projektion (als Sonne oder Mond) auf dem Transparent erscheint. Die Methode, durch sogenannte Schusterkugeln das Licht zu konzentrieren, damit man bei Kerzenschein auch nachts arbeiten kann, ist seit dem ausgehenden Mittelalter bekannt. Und auch Transparentbilder gehören seit dem 18. Jahrhundert zu den begehrten Sammlungsobjekten. Sie waren in St. Petersburg sehr beliebt und auch in Deutschland waren sie seit Mitte des 18. Jahrhundert weit verbreitet. Viele Transparente sind z. B. von Jacob Philipp Hackert 1737 – 1807 erhalten. Aber Caspar David Friedrich war der erste, der die Schusterkugel als Gestirnprojektion benutze und sie mit dem Transparentbild kombinierte und obendrei dazu noch die Musik einsetzte.

Friedrich hat für die ersten drei Motive, die von der Erde und der Kirche handeln, den Einsatz der mit abgekochtem Wasser gefüllten Kugel vorgesehen. Sie muss auf dem originalen Transparentbild als weißlicher Himmelskörper erschienen sein. Während erst bei der letzten Bildeinstellung die mit Wein gefüllte Kugel als goldener Himmelskörper zum Einsatz kam, entsprechend der ursprünglichen Beschreibung von 1830: „Strahlend ergießt sich das Licht aus der Höhe zur Erde“.
Wir haben in unserer kleinen „Versuchsanordnung“* zur Projektion mit der Schusterkugel nur die Weißweinvariante gewählt. Und wir haben das Tageslicht durch elektrisches Licht ersetzt. Dieses lässt das Transparentbild leuchten und wird zugleich durch die Schusterkugel zur Lichterscheinung am Himmel gebündelt (Friedrich hat einen zusätzlichen Leuchter vorgesehen, da das Außenlicht nur auf die Glaskugel fallen sollte bei sonst vollständig abgedunkeltem Fenster).
In der „Gebrauchsanweisung“ geht Friedrich nach vielen technischen Details (z.B. wie die Bilder auf einem Tisch „eine Elle sieben Zoll Höhe“ hinter dem herabgelassenem Vorhang  in ihren Rahmen mit einem Schieber gewechselt werden sollen und wie die Kugeln zu installieren seien) zum Schluss auf die Musik ein:
„Wenn der Beschauer in das dunkle Zimmer, oder vielmehr finstere Zimmer, geführt würde, so könnte sich, wie aus der Ferne, eine Musik erheben, so mit dem bilde Nr. 1 im Einklang stünde, und wenn dasselbe gesehen, [könnte man] in schnellen Übergängen zu dem Bild Nr. 2 und so zu den Bildern Nr. 3 und Nr. 4 übergehen. Ich fühle, dass ich unverständlich mich ausgedrückt und versuche es noch einmal, nämlich ich meine, von den düsteren Tönen der Begleitung des ersten Bildes Nr. 1 zur weltlichen Musik Nr. 2 übergehen und von d  zur geistlichen Musik Nr. 3 und weiter zur himmlischen Musik Nr. 4. Ein Musikverständiger, dem ich diese Meinung mitteilte, erbot sich sogleich, mir dieselbe deutlich für Musiker in der Musiksprache zu Papier zu bringen.“
Da uns diese „zu Papier gebrachte“ Musik genau so wenig überliefert ist wie die Transparente, haben wir uns entschieden, Friedrichs multimedialen Schau mit den Möglichkeiten der heutigen Musik zu inszenieren. Deswegen entschieden wir uns für die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Prof. Georg Hajdu von der Hochschule für Musik und Theater, der mit den modernsten technischen Möglichkeiten komponiert – ganz im Sinne von Friedrich, der sich mit dem Einsatz der 1761 von Benjamin Franklin erfundenen Glasharmonika ebenfalls für ein populäres, zeitgenössisches Instrument entschied. Georg Hajdu bezieht sich in seiner mit Jacob Sello entwickelten Komposition auf Friedrichs erste Beschreibung von 1830. Zur Begleitung der ausgestellten drei Entwurfszeichnungen über die weltliche, kirchliche und himmlische Musik (sie werden jeweils 90 Sekunden erleuchtet) wurde ein Computerprogramm entwickelt, das Samples von reinen Instrumentenklängen mit Kompositionsfragmenten unterschiedlicher Epochen zusammenführt. Je nachdem, welche Zeichnung erleuchtet wird, ertönen im Hintergrund Lautenklänge der Barockzeit für die irdische Musik, Zitate von Schumann-Melodien (Chöre, Orgel und Harfenglissandi) für die kirchliche Musik  und schließlich, als Begleitung des letzten Bildes die Glasharmonika.
Die Musik ist so programmiert, dass sie sich in unendlichen Variationen fortschreibt.
Im Zusammenhang mit einem wichtigen neuen Aspekt dieser Ausstellung sei noch erwähnt, dass  in Dresden die Glasharmonika von MM Naumann gespielt wurde und dass in seinem Haus Treffen der Freimaurer stattfanden, an dem auch Caspar David Friedrich teilgenommen haben solle.
Die technische Umsetzung erfolgt nach Prinzipien der „Algorithmischen Komposition“. Diese bereits seit den 1960er Jahren bestehende Form des Komponierens, die durch Künstler wie Iannis Xenakis und John Cage bekannt wurde, nutzt die Möglichkeiten, die sich aus der Digitaltechnik ergeben zu Zwecken der musikalischen Komposition. So ist es möglich, Musik zu erzeugen, die sich auf der Grundlage bestimmter Regeln selbst generiert und sich in unendlichen Variationen fortschreibt.

Im Zusammenhang mit einem wichtigen neuen Aspekt dieser Ausstellung sei noch erwähnt, dass  in Dresden eine Glasharmonika von Johann Gottlieb Naumann gespielt wurde und dass in seinem Haus Treffen der Freimaurer stattfanden, an den auch Caspar David Friedrich teilgenommen haben muss.

Neben den Entwürfen zu den Transparentbildern für St. Petersburg ist in diesem Raum Gebirgigen Flusslandschaft zu sehen, Friedrichs einziges noch vollständig erhaltenes Transparentbild, und die Ruine Oybin bei Mondschein.

Die Glasharmonika wurde bald ein Liebling des empfindsamen Zeitalters. Sie war vor allem in den deutschen Residenzstädten verbreitet. Schiller schrieb in einem Brief: »Die Wirkung dieses Instr. kann in gewissen Situationen mächtig werden; ich verspreche mir hohe Inspirationen von ihr.« Goethe hörte aus der Glasharmonika das »Herzblut der Welt«. Doch wurde sie auch in Frankreich, Holland, England, Skandinavien, Rußland, in der Schweiz, in Italien, Spanien und in Nordamerika gespielt. Roellig prophezeite in seinem Fragment Ueber die Harmonika (Berlin 1787): »Die Wirkung dieses Instr. grenzt ans Fabelhafte, und es ist wahrscheinlich, daß, wenn es wieder verloren gehen sollte, die Erzählung davon für die Zukunft das sein würde, was die Geschichte der Leier des Orpheus für uns ist.«
[…]
Der hohe Preis der Instr., ihre schwierige Handhabung, der Mangel an Lehrern und Schulen, die angebliche Nervenschädlichkeit, die Weiterentwicklung der Musikinstr. im Harm. und im Hammerkl. und nicht zuletzt der sich ändernde Zeitgeschmack, der sich mehr und mehr dem großen Orch.-Klang zuwandte und sich vom stillen Kammermusizieren abkehrte, alle diese Faktoren wirkten zusammen, die Glasharmonika, die im Orch. nie recht Fuß zu fassen vermochte, ab 1830 ebenso schnell in Vergessenheit geraten zu lassen, wie sie 70 Jahre zuvor eine kaum vorstellbare mus. und gesellschaftliche Bedeutung erlangt hatte. »Die Zeit der Glasharmonika hatte sich schon nach 1830 erfüllt, als die Vorläufer des Harm. billigere, weniger zerbrechliche und weniger nervengefährliche Instr. ähnlicher Ausdrucksfähigkeit hergaben. Ihr Besonderes, der ganz übersinnliche, wesenlose Klang ist freilich mit ihr verloren gegangen« (SachsR).
Quelle: [Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Glasharmonika, S. 13. Digitale Bibliothek Band 60: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 28174 (vgl. MGG Bd. 05, S. 237) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
* Für den Bau unserer Kugelinstallation gab uns Prof. Werner Nekes aus Düsseldorf die Anregung. Seine einzigartige Sammlung optischer Geräte wurde vor einem Jahr im Altonaer Museum ausgestellt.

** Der Wiener Arzt und Gelehrte Franz Anton Mesmer, ein Zeitgenosse Friedrichs, verwendete die Glasharmonika, um seine Patienten für therapeutische Zwecke in einen hypnotischen Zustand zu versetzen.


Info

Creation/revision date: 2006

Duration: 4’30”

Premiere: October 7, 2006. Shown during the exhibition “Caspar David Friedrich. Inventing Romanticism.” Hamburg Kunsthalle, October 7, 2006 –  January, 28 2007

Format: Quintet.net piece

 


 

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Audioaufnahme (beginnt mit der dritten Allegorie)

Video

 

Femal Lute Player and Guitarist in a Gothic Ruin (allegory of worldly music)
The Harpist (allegory of church music)
The Dream of a Musician (allegory of celestial music)

From the booklet to the exhibition Caspar David Friedrich – Inventing Romanticism (Text by Kyllikki Zacharias, translation by Anne-Ev Ustorf)

In a letter to the Russian Poet and Privy Counsellor Vasili Zhukovsky, Friedrich described four of his transparent pictures which he sold to the Russian Tsar around 1835: Next to a romantic Schatzhebung im Walde (Treasure Lift in the Forest) allegories of worldly, religious and celestial music. These four pictures were to be displayed in a darkened and carpeted room, illuminated only from behind. In other words: In an environment that sharpens the senses also for other impressions-such as music that mysteriously emanates from an adjacent room.Unfortunately these works are lost, only the sketches for the three allegories survive. The music you now hear in the background was composed according to Friedrich’s guidelines specifically for this exhibition by Georg Hajdu, Professor at the Conservatoire of Music and Theatre in Hamburg. Hajdu uses quotes from baroque lute music for Allegorie der weltlichen Musik (Allegory of Worldly Music), melodies by Schumann for Allegorie der kirchlichen Musik (Allegory of Church Music) and sounds of the glass harmonica for Allegorie der himmlischen Musik (Allegory of Celestial Music).The glass harmonica was invented by Benjamin Franklin in 1761 and was soon in use in Dresden. The Viennese doctor and scholar Franz Anton Mesmer, a contemporary of Friedrich, used the glass harmonica to hypnotise his patients for therapeutic purposes.We display the allegories alongside Gebirgige Flusslandschaft (Mountainous Riverscape) and Ruine Oybin bei Mondschein (Ruin Oybin in Moonlight), Friedrich’s only surviving transparent pictures.


Info (copy 1)

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