WDR-Beitrag
Transkription eines Beitrags von Barbara Oberbeck WDR 3: Am vergangenen Wochenende wurde in Münster im Pumpenhaus die multimediale Oper Der Sprung des Komponisten Georg Hajdu uraufgeführt. Eine Computer-gestützte Komposition, die unter anderem so klang: [Ausschnitt aus der 1. Szene des 1. Akte] Barbara Overbeck, mit der ich jetzt im Studio Münster verbunden bin, war bei der Uraufführung dabei. Was ist das Thema der Oper Der Sprung? B.O.: Das Thema geht auf einen reellen Vorfall zurück und zwar ermordete in den 80er Jahren eine geistig verwirrte Studentin einen Judaistikprofessor, ein anderer wurde schwer verletzt, und diese Studentin war eine Turmspringerin aus der ehemaligen DDR, und sie fühlte sich als Beschützerin des jüdischen Volkes und wollte nicht, dass jüdische Geschichte von Nichtjuden gelehrt wird, obwohl sie selber auch keine Jüdin war. Und sie setzte also auf ihren letzten Sprung zu diesem Mord auf die Professoren an; und der Bruder des Komponisten war übrigens in diesem gleichen Seminar, hatte aber an diesem Tag Glück, dass er nicht zur Uni gegangen ist; und den Komponisten Georg Hajdu hat dieser Vorfall so beschäftigt, dass eben beschlossen hat, daraus eine Oper zu machen. WDR 3: Und wie hat er versucht, das musikalisch auf der Bühne umzusetzen? B.O.: Also man kommt rein, es ist dunkel. Man hört diffuse Klänge und Geräusche aus dem Computer. Eine Schauspielerin schreibt Sätze an eine Tafel. Es sind viele Instrumente dabei, auch Synthesizer, E-Gitarre, aber auch Bläser, Streicher, Jazz-Musiker. ganz hervorragend musiziert unter der Leitung von René Gulikers, und man hat so das Gefühl, man ist in einem Alptraum gefangen. Also das Perverse an der Geschichte ist eigentlich: Man weiss, dieser Alptraum ist wahr geworden. Und es wird keine logische Handlung erzählt, sondern es gibt Mosaikstückchen auch musikalisch. Es werden Stilzitate eingebaut, es sind ganz wilde Klänge dabei — ich habe gerade etwas kantablere Stellen ausgewählt, aber es sind wirklich so Mosaikstückchen, die aneinandergereiht werden und man weiss erst gar nicht, was passiert hier überhaupt, was mache ich hier eigentlich, und es ist eine ganz eigenartige Atmosphäre, auch musikalisch in Verbindung mit diesen Sachen, die aus dem Computer eingespielt werden. WDR 3: Das Chaos auf der Bühne als Sinnbild des Chaos im Kopf der wahnsinnigen Studentin? B.O.: Kann man so sehen. WDR 3: Georg Hajdu ist Jahrgang 1960. Stellen Sie uns den Komponisten kurz vor? B.O.: Er hat sich sehr intensiv mit Musik, Naturwissenschaften, und wie sollte es anders sein, mit Computertechnologie auseinandergesetzt. Er gründete auch ein Ensemble, das sich eben auf die Live-Aufführung elektroakustischer Musik spezialisiert hat. Und diese ganzen Computerprozesse werden immer mit einer musikalischen Partitur verflochten. Das war eben auch in diesem Stück so. Wie er das gemacht hat ist ziemlich kompliziert: Also der Librettist Thomas Brasch hat einen Satz auf dem Anrufbeantworter des Komponisten hinterlassen und dieser Satz lautete: Eine Oper schreiben heißt: Keinen anderen Ausweg wissen. Und diesen Satz hat Georg Hajdu analysiert, und fragen Sie mich bitte nicht wie, Frau Behlemann, das weiss ich auch nicht, aber hat aus diesen Prozessen das gesamte musikalische Material gewonnen. Das ist natürlich eine Ebene, die dem Zuhörer verborgen bleibt. WDR 3: Das kann man nicht hören? B.O.: Nein, das kann man nicht nachvollziehen. Das sind Prozesse mit Makro- und Mikrostrukturen, mit Amplituden, er hat diesen Satz dann von vorne bis hinten durchanalysiert. Aber das hat man nicht gehört; und da setzt meine Kritik auch an: Die Story wie sie da war, wie es auf der Bühne passierte, das ist ja das, was mich als Zuhörer erst einmal interessiert, wenn ich da reinkomme. Das war spannend, das hatte auch eine eigenartige Atmosphäre. Aber man wurde mit soviel Ballast gefüttert, dass man dachte… Also ich habe immer da gesessen und versucht diese Verbindungslinien herzustellen. Das bekommt man im ersten Moment nicht auf die Reihe. Also das ist was für Freaks, die die Partitur dann analysieren, weil es wird ja, wie ich schon sagte, keine logische Story erzählt, sondern Wahnvorstellungen; und die sind schwierig genug. Aber ich habe mich nachher mit dem Komponisten noch unterhalten und ich glaube, ich hab dann wohl genau in seiner Absicht gelegen. Georg Hajdu: „Was ich ein großes Kompliment finde ist, wenn die Leute aus dieser Oper herausgehen und sagen, sie haben was ganz tolles erlebt, aber wissen nicht genau, was es ist. Also sie müssen, sozusagen, noch Zeit damit zubringen, die ganzen Mosaiksteine zusammenzusetzen. Nicht während der Oper, sondern später als Denkprozess.“ Also hat man wenn man aus der Oper herauskommt noch genug damit zu tun; und so sahen noch einige Leute aus. Obwohl die Leute lang andauernd geklatscht haben und sehr angetan waren. WDR 3: Das ganze klingt auch so, als ob das eine völlig neue Art der Zusammenarbeit gewesen sei, zwischen Komponist und Librettist. B.O.: Das kann man sagen. Es ist wohl so…, also der Komponist spricht selber von einer „Sandwich-Technik“. Ein Prozess baute auf dem anderen Schritt quasi auf. Zuerst dieser Vorfall, dann hat dieser Anruf stattgefunden und dann hat der Komponist eben aus diesem Anruf den Plan entwickelt, wobei, was ich eben schon ansprach, man kann es nicht hören, und letztendlich ist es mir dann auch irgendwo egal, woher er das bezogen hat, sondern ich möchte sehen, was ist da für ein Produkt herausgekommen. Und man ist dann mit dem Programmheft beschäftigt, diese ganzen theoretischen Sachen zu verstehen. Das lenkt – finde ich – ein bisschen von dieser doch ganz gelungenen Gesamtsache ab. WDR 3: Weitere Aufführungen sind zunächst nicht vorgesehen. Heißt das, die Oper wird jetzt in der Schublade verschwinden? B.O.: Nein, es war jetzt so, dass es eine konzertante Aufführung war. Und der Komponist möchte gerne, dass eben noch eine Videoebene dazukommt, also eine visuelle Ebene, wo die Wahnvorstellungen der Studentin eben auch noch realisiert werden. Und da arbeitet er noch dran und ich denke, das wird dann vielleicht vom Gesamtkonzept noch eine ganz andere Wirkung bekommen. WDR 3: Gesamtfazit: Eine interessante, wenn auch nicht einfache Oper? B.O.: Ja, dem würde ich zustimmen. Also man geht schon raus und beschäftigt sich damit und das wollte er genau erreichen; und diese Wahnvorstellungen, also das fand ich schon eine wirklich beklemmende Atmosphäre, dass man am Anfang dachte, ich will hier wirklich nur noch raus, aber man saß da wirklich und war doch gefesselt. WDR 3: Ich bedanke mich bei Barbara Overbeck. Und sie haben uns noch einen akustischen Eindruck mitgebracht. Sagen Sie uns noch, was wir kurz noch hören können. B.O.: Ich habe schon erwähnt, es waren einige Stilzitate eingestreut, z.B. aus der Renaissance, und ich habe ein Stückchen noch mitgebracht, da greift er auf die Klezmermusik zurück, um diese jüdische Thematik eben noch einmal zu verdeutlichen. [Ausschnit aus der 2. Szene des 2. Aktes] |